"Religion, Religiosität und Lebensführungskompetenz kolumbianischer Straßenkinder"
Projekt - Prorektorat - für Forschung
Status:abgeschlossen
Kurzinhalt:Das Forschungsvorhaben findet im Rahmen des Projektes "Patio13 - Schule für Straßenkinder", statt, das von 2001 bis 2005 von der Heidelberger Druckmaschinen AG finanziert wurde und derzeit von der Don Bosco-Jugend Dritte Welt, der Klaus-Tschira-Stifung sowie der Landesstiftung Baden-Württemberg gefördert wird.
Das Projekt "Patio13 - Schule für Straßenkinder", das seit dem Jahr 2001 obdachlosen Kindern Grundbildungsangebote macht, um ihnen die Chance zu eröffnen, Anschluss an die öffentliche Schullaufbahn zu gewinnen, ist in seinem Ansatz ethnographischer und biographischer Forschung verpflichtet. Diese methodische Ausrichtung nimmt das Forschungsprojekt "Religion von Straßenkindern" auf. Dabei werden subjektive Handlungsstrategien von Kindern und Jugendlichen der Straße ermittelt und ihr Verhalten weitgehend aus einer Innenperspektive heraus erkundet.
Das hier beschriebene Vorhaben geht davon aus, dass in den Überlebensstrategien von Kindern und Jugendlichen der Straße Religion eine wichtige Rolle spielt. Aus dieser Tatsache ergibt sich die Relevanz eines Forschungsvorhabens, das die soziale Praxis von jungen lateinamerikanischen Straßenbewohnern im Blick auf Religion und Religiosität erkundet. Es wird untersucht, wie junge Menschen unter extremen materiellen Existenzbedingungen und den Entfremdungserscheinungen des alltäglichen Elends der Straße Religion konstruieren.
Dabei wird (mit Clifford Geertz 1966; 1987) davon ausgegangen, dass sich Religion in Symbolsystemen niederschlägt, die dadurch zu erforschen sind, dass man den betroffenen Personen gleichsam über die Schultern schaut, ihre Perspektiven in "dichter Beschreibung" wiedergibt und den Sinn ihrer Handlungen darstellt. Beobachtung und Begriff der Untersuchung beziehen sich in methodisch kontrollierter Weise auf typische Intentionen der Handelnden ("Konstrukte erster Ordnung"), aus denen "Konstrukte zweiter Ordnung" (Alfred Schätz) gebildet werden, die das Verstehen ihrer Motive, Absichten und Vorstellungen voraussetzen.
Als Ansatz ergibt sich daraus die qualitative Methode ethnographischer Sozialforschung mit multimethodischen Verfahren der Religionsethnographie in Recherche, teilnehmender Beobachtung, narrativ-biographischen Interviews und deren Analyse.
Ort der Untersuchung ist die Area Metropolitana von Medell'n in Kolumbien.
Das hier vorgestellte Forschungsprojekt zielt damit auf die Erforschung der Bedingungen und Möglichkeiten einer Vermittlung von Lebensführungskompetenz für Straßenkinder auf der Grundlage der bislang im Projekt Patio13 erforschten situativen und biographischen Kenntnisse.
Als angewandte Forschung wird die Untersuchung eine Bereicherung der Lehrerbildung im Studiengang Straßenkinderpädagogik an der Escuela Normal Superior in Copacabana, an der Universität von Antioquia in Medell'n, an der Universidad Externado de Colombia in Bogota wie an weiteren (auch deutschen) Universitäten darstellen.
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titel:
(andere Sprache)
"Religion, religiosity and life skills of Colombian street children"
Ergebnis:Ergebnis eines Forschungsaufenthaltes im Rahmen des Promotionsvorhabens sind aktuelle Daten über die regional sehr unterschiedlichen Flüchtlingsströme und Rahmenbedingungen für das Leben auf der Straße, neue Formen von Drogenabhängigkeit und die charakteristische Ausprägung verschiedener Konsumentengruppen sowie das Thema der Schwangerschaft von Straßenmädchen. Grundlage eines Projektdesigns von Anna-Lena Wiederhold und Manfred Ferdinand ist neben der individuellen Forschung die Entwicklung und Praktizierung der ethnografisch-qualitativen Forschung mit SchülerInnen und StudentInnen der Escuela Normal in Copacabana. Die Schülerinnen werden zu Forscherinnen ausgebildet und die Auswirkungen auf die Entwicklung straßenkinderpädagogischer Kompetenz im Rahmen der pädagogischen Ausbildung an der ENS evaluiert. Als mögliche Vergleichsgruppe zu den "eigentlichen" Straßenkindern und den in einschlägigen Einrichtungen untergekommenen Straßenkindern, hat sich durch die mehrmonatige Präsenz vor Ort und die teilnehmende Beobachtung des Umfeldes der eigentlichen Straßenkinder die Gruppe der arbeitenden Straßenkinder ergeben: Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 20 Jahren, die zwar ein Zuhause haben, aber alle Tage bis hinein in die Nacht als Straßenverkäufer zubringen, keine Schule besuchen und zu den 70 Prozent der Kinder in Kolumbien gehören, die unter der Armutsgrenze leben und von Obdachlosigkeit bedroht sind. Im Barrio Triste ist zu beobachten, dass Teile dieser Gruppe mit den "eigentlichen" Straßenkindern in symbiotischer Weise zusammenleben und mit ihnen eine Art Familienersatz bilden. Die im Barrio Triste unter und um den Abgang einer Fußgängerbrücke beobachtete Gruppe von Kindern und Jugendlichen ist offensichtlich gemeinschaftsbildend. Als außerordentlich stark an diesen Ort gebunden und z. T. seit Jahren dort lebend, bilden die Kinder und Jugendlichen die eigentlich dort sesshafte, Tag und Nacht präsente Nutzergruppe dieses öffentlichen Platzes, um die sich zahlreiche andere Menschen herumgruppieren. Unter ihnen befinden sich einige wiederholt schwangere Mädchen, für die die Schwangerschaft und Geburt ihrer Kinder von äußerst ambivalenten Gefühlen begleitet ist. Religiöse Vorstellungen und Alltagsphilosophien einzelner Kinder und Jugendlicher dieser Gruppe werden derzeit im Rahmen von teilnehmender Beobachtung, Biographieforschung und leitfadengestützten Interviews untersucht. Dabei zeichnet sich etwa ab, dass die jungen Mütter auf der Straße eine (religiöse) Beziehung zu ihren Kindern nicht entwickeln können, da sie in der Regel über deren Verbleib nichts wissen und etwa an deren Taufe nicht teilhaben können. Andererseits zeugen "Straßenaltäre", Installationen von religiösen Gegenständen, Bildern, Symbolen und Zeichen an den Schlafstätten der Straßenbewohner davon, dass diese für sie eine große Bedeutung haben und sie sie von überall am gemeinschaftlichen Schlaf- und Aufenthaltsort zusammentragen und miteinander teilen. Dies wiederum wird auch von den Behörden respektiert, wenn im Rahmen von "Säuberungsaktionen" wohl der angesammelte Müll, nicht aber diese religiösen Symbole der Straßenbewohner entfernt werden. Die religiösen Symbole repräsentieren somit eine Kontinuität, die den Straßenbewohnern normalerweise nicht möglich ist, und markieren einen Ort als den ihren, der ansonsten den Regeln der öffentlichen Ordnung unterliegt.
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Projektdauer:01.03.2006 bis 31.12.2008
Projektbeteiligte:
Prof. Dr. Weber, Hartwig (Leitung) [Profil]

Pfr. Dipl.-Diakoniewissenschaftler Manfred Ferdinand, Anna-Lena Wiederhold, Lic Luz Adriana Romero Fontecha (Studentinnen im Promotionsaufbaustudiengang)

In Zusammenarbeit mit:Rektorin der Escuela Normal Superior Maria Auxiliadora, Copacabana (Kolumbien), Sor Sara Jaramillo;
Professoren der Universität von Antioquia und der Universität Externado de Colombia, Bogota, insbesondere Prof. Marco Antonio Velez, Soziologe, und Prof. Luz Mary Astor, Anthropologin und Ethnologin sowie
Prof. Dr. Heinz Schmidt, Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Heidelberg.
Verweis auf Webseiten:
Projekthomepage
keine
Angehängte Dateien:
keine
Erfasst von Prof. Dr. Hartwig Weber am 23.10.2007
Zuletzt geändert von René Pretsch am 19.10.2022
    
Projekt-ID:90